Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

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Fischländer
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Fischländer »

Hallo Seekater,
Seekater hat geschrieben:
Schwerkraft-Ausklinken:
Das ist nur der erste Teil; nach dem Ausklinken hängt das Boot im Davit außenbords und es kann eingestiegen werden. Anschließend muß das Rettungsboot ja auch mit Muskelkraft runtergekurbelt werden, klappt das mit vollbesetztem Boot noch ? Oder muß dann über Landungspforte eingestiegen werden ? Bis wieviel Grad Schlagseite kann die Pforte überhaupt noch genutzt werden ? Und wird so etwas überhaupt trainiert - nich nur mit leerem Boot, sondern auch mit vollem ?
Das ist so alles nicht richtig. Die Boote wurden vielleicht vor 50 Jahren mit muskelkraft runtergekurbelt, aber heute ist das nicht mehr vorstellbar.
Ich versuche hier mal den Aussetzvorgang zu beschreiben.
Es ertönt "Alarm zum Verlassen des Schiffes" die Besatzung und die Passagiere sammeln sich an den ihnen zugeteilten Rettungsbooten.
Die Besatzung macht das Boot klar, d.h. Laschingslösen etc.
Die Crew u die Passagiere werden einer Vollzähligkeitskontrolle unterzogen, dann wird eingebootet.
Alle schnallen sich an und der Bootsführer löst die Bremse von innen. Der Davit schwenkt das Boot aus und beim Erreichen der Entlage fiert das Boot automatisch weg.
Beim Aufsetzen auf die Wasseroberfläche löst der Bootsführer die Haken und das Rettungsboot kann sich vom Schiff entfernen.
Bis wieviel Grad Schlagseite die Boote ausgesetzt werden können weiß ich nicht.
Auf Frachtschiffen muss ein Rettungsboot nach dem LSA-Code (SOLAS) alle drei Monate bemannt ausgesetzt werden. Das läuft denn als Training ab.
Wie es die Regel mit Kreuzfahrtschiffen meint, kann ich auf die schnelle nicht sagen.

Freifallboote werden bei Kreuzfahrschiffen zwecks Platzmangel nicht zur Anwendung kommen. Alle Boote müssen schnell und gut erreichbar sein und somit sind die Rettungsboote an Stb und Bb gut angeordnet.

Ein gutes Sicherheitskonzept wird auf den Kreuzfahrtschiffen schon vorhanden sein, aber ob es auch umsetzbar ist?
Bei solch einer Menschenansammlung wird es zur Panik kommen und der Ausgang wird ungewiss sein.
Freundliche Grüße
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Seekater
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Seekater »

Hallo Fischländer,
ich danke Dir für Deine detailierte Erläuterung.
Fischländer hat geschrieben:Alle schnallen sich an und der Bootsführer löst die Bremse von innen. Der Davit schwenkt das Boot aus und beim Erreichen der Entlage fiert das Boot automatisch weg.
Weißt Du, ob beim automatischen wegfieren irgendeine Energie oder Signal von Bord kommen muß ? Oder läuft das wirklich autark und automatisch ab, sowie die Bremse gelöst ist ?
Fischländer hat geschrieben:Ein gutes Sicherheitskonzept wird auf den Kreuzfahrtschiffen schon vorhanden sein, aber ob es auch umsetzbar ist? Bei solch einer Menschenansammlung wird es zur Panik kommen und der Ausgang wird ungewiss sein.
Genau das ist der Punkt - wieviel funktionierende Technik ist dafür nötig ? Sowohl zum Umsetzen des Sicherheitskonzeptes, wie auch zum Umgang mit soviel Menschen und deren Reaktionen.
Fischländer hat geschrieben:Auf Frachtschiffen muss ein Rettungsboot nach dem LSA-Code (SOLAS) alle drei Monate bemannt ausgesetzt werden. Das läuft denn als Training ab.
...wobei dabei (meist) immer dasselbe Rettungsboot genommen wird, bei dem dann alles funktioniert - über den Rest wird die Plane des Schweigens drüber gezogen. So war's auch auf etlichen Fährschiffen, auf denen ich mir die Rettungsboote einmal näher angesehen habe. Genauso war's auch bei der bis jetzt einzigsten Rettungsübung, die ich als Passagier einmal von Bord aus beobachten konnte.
Fischländer hat geschrieben:Wie es die Regel mit Kreuzfahrtschiffen meint, kann ich auf die schnelle nicht sagen.
Ich habe auch schon einige Zeit mit Recherchieren verbracht, bin dabei aber nicht wirklich weiter gekommen. Wenn Du dabei etwas helfen könntest wäre ich Dir dankbar.


Schöne Grüße
Seekater
Wenn schon Irren, dann lieber durch eine Tat, als durch eine Unterlassung
KaiR
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von KaiR »

Seekater hat geschrieben:wobei dabei (meist) immer dasselbe Rettungsboot genommen wird, bei dem dann alles funktioniert - über den Rest wird die Plane des Schweigens drüber gezogen. So war's auch auf etlichen Fährschiffen, auf denen ich mir die Rettungsboote einmal näher angesehen habe.
sicherlich sind doch funktionierende Rettungsboote Teil der Prüfroutinen für die Sicherheitsprüfung?

Grüße

Kai
Grüße,

Kai
Globus
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Globus »

Rettungsboote müssen monatlich einmal von der Besatzung zu Wasser gelassen werden-

Die Behörden prüfen jährlich einmal.

Eine wirkliche Routine und Können haben nur die Besatzungen, die ihre Boote regelmäßig als Verkehrsboot einsetzen.

Gruß Globus
Fischländer
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Fischländer »

Moin,
Globus hat geschrieben:
Rettungsboote müssen monatlich einmal von der Besatzung zu Wasser gelassen werden-
Testintervalle für Rettungsbooten:
Wöchentlich: Davit Release Gear Test. d.h. die Davitanlage muss ca. 10 cm von der Ausgangslage bewegt werden. Der Motor wird durchgefahren und alle System werden überprüft.
monatlich: Die Rettungsboote müssen bis zur Wasseroberfläche weggefiert werden (unbemannt).
alle 3 Monate: Die Rettungsboote müssen bemannt ausgesetzt werden und in ihrem feuchten Element manövriert werden.
(Das bezieht sich auf alle Rettungsboote die an Bord sind)
Seekater hat geschrieben:
Weißt Du, ob beim automatischen wegfieren irgendeine Energie oder Signal von Bord kommen muß ? Oder läuft das wirklich autark und automatisch ab, sowie die Bremse gelöst ist ?
Es läuft wirklich autark ab, denn so ist es von SOLAS vorgeschrieben.
Der Bootsführer zieht an einer Leine, welche über mehrere Umlenkrollen mit der Feststellbremse verbunden ist. Die Feststellbremse wird dadurch gelöst und dann gehts in kürzester Zeit nach unten.
Ich weiß aber nicht, ob es bei den modernsten Booten auch nach diesem Prinzip funktioniert.

Fakt ist, wenn die Port State Control kommt und es gibt Probleme beim Aussetzen der Rettungsboote, dann wird der Dampfer an die Kette gelegt und das wird teuer.

Freundliche Grüße,
Fischländer
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Seekater
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Seekater »

Globus hat geschrieben:Rettungsboote müssen monatlich einmal von der Besatzung zu Wasser gelassen werden-
überprüft das jemand ? Was passiert wenn's nicht gemacht wird ?
Globus hat geschrieben:Die Behörden prüfen jährlich einmal.
"Die Behörde" ist dann doch die Klassifikationsgesellschaft des Landes unter dessen Flagge das Schiff fährt ....... oder ?
Wie läuft so etwas eigentlich in der Praxis: Die "Köln-Düsseldorfer" hat ihre Rhein-Schiffe auch nach Panama ausgeflaggt. Beauftragen die dann eine Prüfgesellschaft nach den Regeln von Panama zu prüfen und schicken den Bericht dann nach Panama ? oder wie geht das ?
Globus hat geschrieben:Eine wirkliche Routine und Können haben nur die Besatzungen, die ihre Boote regelmäßig als Verkehrsboot einsetzen.
genau, das sind dann die "Rettungsübungen", wenn zwei oder drei der 26 Boote der Carnival Splendor als Tender eingesetzt werden, hin und her pendeln und die Teilnehmer eines Landganges mit allem Komfort für die Passagiere übersetzen. Alles andere wäre ja auch im Alltagsbetrieb eines Kreuzfahrers mit Schichtdienst der Besatzung rund um die Uhr nicht zu leisten. (Ich befürchte sogar, daß von den 26 nötigen Bootssteuerern mindestens die Hälfte keinerlei Routine im Steuern eines Bootes hat, die haben nur "die Lizenz" und verrichten im Alltag ganz andere Tätigkeiten im technischen Hotel-Betrieb des Kreuzfahrers).

Ich gehe davon aus daß Theorie und Praxis, je nachdem wie ein Kreuzfahrer geführt wird und je nachdem unter welcher Flagge er läuft, ganz erheblich weit auseinander klaffen.

Oder einmal anders gefragt:
Haben wir ein Mitglied hier im Forum, was schon einmal eine Großübung an Bord eines Kreuzfahrers erlebt hat, bei der ALLE Rettungsboote zu Wasser waren ?

Ich würde mich sehr freuen, wenn jemand davon berichten könnte.

Schöne Grüße
Seekater
Wenn schon Irren, dann lieber durch eine Tat, als durch eine Unterlassung
Robert67
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Robert67 »

Seekater hat geschrieben:
Globus hat geschrieben:Die Behörden prüfen jährlich einmal.
"Die Behörde" ist dann doch die Klassifikationsgesellschaft des Landes unter dessen Flagge das Schiff fährt ....... oder ?
Wie läuft so etwas eigentlich in der Praxis: Die "Köln-Düsseldorfer" hat ihre Rhein-Schiffe auch nach Panama ausgeflaggt. Beauftragen die dann eine Prüfgesellschaft nach den Regeln von Panama zu prüfen und schicken den Bericht dann nach Panama ? oder wie geht das ?


Seekater
Die KD hat nach Valetta ausgeflaggt.

Also Malta.

Rheinschiffe unterliegen der Rheinschiffahrtuntersuchungskommission.
Kurz SUK


Auf Binnenschiffen sind die Rettungsboote nicht zur Rettung der gesamten Fahrgäste gedacht.
Eher um jemand aus dem Wasser zu fischen, wa ich selber 2 Mal machen durfte.

Macht ja auch im Landesinneren keinen Sinn.

Da schauen die oberen Decks selbst im Extremfall noch locker über die Wasseroberfläche oder man fährt die Kiste gezielt ans Ufer.

Wir haben (un)regelmässig eine Übung gemacht
ArneKiel

Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von ArneKiel »

Moin,

um das Thema mal wieder zu den Wurzeln zu bringen hier ein interessanter US-Artikel zum Thema:

Seven big new cruise ships debut this fall and in 2011, bringing more glamour, more size and more capacity to the already crowded cruising world.
Although the Great Recession has hit the cruise industry just like every other, "keep in mind that these ships were ordered about three years ago," before the downturn, says Stuart Chiron, Florida cruise industry analyst and CEO of CruiseGuy.com. In the next few years there will be a slowdown in the number of new ships, he says. The big lines, Carnival and Royal Caribbean, have fleets of more than 20 each. That's more than enough to serve markets and destinations worldwide.

DETROIT FREE PRESS http://www.northjersey.com/travel/10960 ... _seas.html
Seekater
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von Seekater »

Robert67 hat geschrieben:Die KD hat nach Valetta ausgeflaggt.
Also Malta.

Rheinschiffe unterliegen der Rheinschiffahrtuntersuchungskommission.
Kurz SUK
Danke für die beiden Hinweise, mein Fehler. Damit wird auch klar wie's bei den Rheinschiffen läuft.

Und auch bei den Seeschiffen wird's dank Fischländer langsam klarer:
Fischländer hat geschrieben:Fakt ist, wenn die Port State Control kommt und es gibt Probleme beim Aussetzen der Rettungsboote, dann wird der Dampfer an die Kette gelegt und das wird teuer.
Super, ein Lichtblick. Danke für die Infos. Bei uns scheinen das die Berufsgenossenschaften zu übernehmen. (Hafenstaatkontrolle der BG Verkehr.

Natürlich gibt's überall da wo Licht ist, auch Schatten. Mir scheint das in der Liste der Staaten zu liegen, die sich dem Port-State-Control-Abkommen unterworfen haben: Teilnehmerstaaten des Port-State-Control Abkommens, denn da fehlen LEIDER noch sehr viele, USA, ganz Südamerika und ganz Asien sind nicht vertreten.

Somit zurück zum eigentlichen Thema:
Ein Kreuzfahrer wie die Carnival Splendor, die sich ausschließlich/überwiegend in der Karibik und im Pazifik aufhält, geht wohl kein Risiko ein, einmal von der Port-State-Control kontrolliert zu werden.........

Wo sind also die Veröffentlichungen von Beispielsweise Carnival-Cruises und über die freiwillig an Bord durchgeführten Sicherheitskontrollen ? Wo ist das Marketing mit SOLAS-Regeln "unsere Schiffe sind sicher".

Ich denke mal, das haben die derzeit nicht nötig. Der Run auf die Kreuzfahrten ist einfach zu groß. Niemand sieht hinter die Glamour und Glitter-Kulisse und wenn, dann berichten die Reportagen im Fernsehen über den Hotelbetrieb. Sicherheit von Kreuzfahrern, das wird selbstverständlich vorausgesetzt.
Aus meiner Sicht dieselbe Ausgangslage wie damals bei Titanic: Damals wars die Auswandererwelle, heute die Kreuzfahrerwelle, die den Blick verstellt, durch die Größe, durch die wirtschaftliche Dimension.


Traurige Grüße
Seekater
Wenn schon Irren, dann lieber durch eine Tat, als durch eine Unterlassung
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MClassens
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Re: Wie weiter mit dem Kreuzfahrt-Gigantismus?

Beitrag von MClassens »

Seekater hat geschrieben: Natürlich gibt's überall da wo Licht ist, auch Schatten. Mir scheint das in der Liste der Staaten zu liegen, die sich dem Port-State-Control-Abkommen unterworfen haben: Teilnehmerstaaten des Port-State-Control Abkommens, denn da fehlen LEIDER noch sehr viele, USA, ganz Südamerika und ganz Asien sind nicht vertreten.
Moin Seekater,
das Paris MOU umfasst nur einen Teil der Staaten. Es gibt ebenfalls noch das Tokyo MOU u.a. mit Australien, China, Japan, Kanada, link hier: http://www.tokyo-mou.org/member.htm. In den USA führt die Coast Guard die Hafenstaatkontrollen durch: http://homeport.uscg.mil/mycg/portal/ep ... dffhdghj.0

Viele Grüße,
Malte
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