Fragen zu: Dampfmaschinen auf Schiffen

Peter Hartung
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Re: Fragen zu: Dampfmaschinen auf Schiffen

Beitrag von Peter Hartung »

Moin miteinander!

Weil ich in den letzten Tagen ein wenig Zeit hatte, mich mit der Entwicklung der Dampfschiffe zu beschäftigen, möchte ich hier zunächst eine Tabelle einstellen, die am Beispiel einiger beispielhafter Nordatlantik-Schnelldampfer vor dem 1. Weltkrieg die Evolution im Dampfschiffbau dokumentieren soll:

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Zur Tabelle oben: Eure Aufmerksamkeit möchte ich dabei auf die Anzahl der Kessel und Feuerstellen lenken. Damit verbunden war die steigende Zahl der Trimmer- und Heizer in den Maschinenräumen. So musste die Schiffsführung der "VATERLAND" schließlich 1.234 Besatzungsmitglieder, darunter 400 Kohlentrimmer und Heizer, kommandieren. Eine unter den damaligen Arbeitsbedingungen kaum zu bewältigende Aufgabe und eine ständige Quelle von Arbeitsaufruhr. So erzwangen damals die Heizer und Kohlentrimmer mit Arbeitsniederlegungen vor dem Auslaufen der Schiffe manchmal Heuererhöhungen. Siehe dazu auch den Auszug aus der "Volkszeitung" vom 26. Mai 1914 im Anhang dieses Beitrags. Die Kieler Matrosenaufstände 1918/1919 mögen schließlich auch ihre Ursachen in dem unerträglichen Arbeitsdruck an den Kesseln unter Deck gefunden haben.

Interessant sind die steigenden Kapazitäten für die Zwischendeckspassagiere (Auswanderer), die mit ihren Passagegeldern die finanzielle Basis des damaligen Schiffsbetriebs bildeten. Durch Steigerung der Geschwindigkeit versuchte man die Fahrtzeiten zu verkürzen und die Reiseintervalle zu erhöhen. Was heute die TEUs sind, waren vor dem 1. Weltkrieg die Auswanderer, könnte man sagen. Gesteigerte Beförderungskapazitäten sollten wirtschaftlichere Auslastungsgrade erzielen. Ferner wird deutlich, dass der Geschwindigkeitsgewinn trotz stark ansteigendem Brennstoffeinsatz bei vergrößerten Feuerungsrosten und PS-Leistung relativ gering war bzw. seine schiffsbautechnischen Grenzen erreichte. Auch die Ausfall- und Reparaturanfälligkeit der immer komplexer werdenden Mehrfach-Verbund-Dampfmaschinen mit ihren riesigen Kesselanlagen nahm zu. Dadurch wurden schließlich insgesamt die Umlaufzeiten der Schiffe begrenzt. Irgendwann waren die Rentabilitätsgrenzen dieser Schnelldampfer erreicht. Der Zugewinn an Geschwindigkeit stand in immer schlechteren Verhältnis zu den Baukosten und dem riesigen Brennstoffverbrauch bei steigenden Besatzungszahlen in den Maschinenräumen. Eine Geschwindigkeitserhöhung um 38 Prozent von zum Beispiel 17 Knoten auf 23 Knoten erforderte einen um 100 Prozent höheren Kohlebedarf.

Dies zunächst als eine erste Deutung der Tabelle. Vielleicht gibt es dazu weitere Beiträge aus dem Forum.

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Schnelldampfer „ELBE“ (1881–1895), Bildnachweis: Wikipedia.de
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Schnelldampfer „ELBE“ (1881–1895), Bildnachweis: Deutsche Auswanderer-Datenbank.
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Schnelldampfer "FÜRST BISMARCK" (Postkarten-Ausschnitt).
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Schnelldampfer „DEUTSCHLAND“. Bildnachweis: Autor unbekannt.
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Schnelldampfer "VATERLAND", Bildnachweis: Der Streik auf dem Ozean-Dampfer ‘Vaterland’ 1914.

mfg Peter Hartung

PS.: Grundlagen für obige Ausführungen sind zu finden in:
Hartmut Rübner: Konzentration und Krise der deutschen Schiffahrt. Maritime Wirtschaft und Politik im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus. Deutsche Maritime Studien, Band 1. Verlag H.M. Hauschild, Bremen 2005, 524 S., Hardcover, gebunden, 17 x 22 cm, 1065 g EUR 45,00
ISBN 978-3-89757-238-6 ISSN 1860-9899.
Daraus habe ich auch die Zahlen für obige Tabelle übernommen.

Anhang:

Am Dienstag, den 26. Mai 1914, erschien dieser Beitrag in der "Volkszeitung":

»Situation auf Vaterland. Heizer beschweren sich über rohe Vorgesetzte. Stewards fordern Lohnerhöhung.
Obwohl angeblich höhere Offiziere bestrebt sind, Unzulänglichkeiten zu vermeiden, mißhandeln Ingenieure
Arbeiter.
Über die Verhältnisse an Bord des neuesten Riesendampfers, ‚Vaterland’, der heute Vormittag die Heimreise
antritt, und die Aufmerksamkeit weiter Kreise auf sich lenkten, konnte die ‚Volkszeitung’ gestern gründliche
Informationen erlangen, die neues Licht auf die Situation wirft. Genosse Kulka, Vertrauensmann der Seeleute-
Sektion des Transportarbeiter-Verbandes, gab zusammen mit mehreren Genossen, die als Heizer auf dem Schiffe
beschäftigt sind, einem Berichterstatter der ‚Volkszeitung’ die Versicherung, daß alle bisher in den
kapitalistischen deutschen Zeitungen veröffentlichten Berichte nicht auf Wahrheit beruhen und keinerlei
Tatsachen als Unterlage haben.
Schon am 1. Mai, als sich das Schiff noch in den Händen der Werft von Blohm & Voss befand, hatten die für
den Dampfer geheuerten Seeleute Grund zur Beschwerde. Sie verlangten damals einen Lohn von 2.50 Mark und
10 Mark für die Probefahrt, und verweigerten zur Durchsetzung der Forderung die Arbeit. Zu dieser Zeit aber
wurde ihnen nicht nur die Forderung bewilligt, sondern außer den 2.50 Mk. noch 15 Mark für die Probefahrt. Vor
der am 14. Mai erfolgten Abfahrt von Cuxhaven stellte dann das Maschinen-Personal an die Schiffsleitung die
Forderung um Lohnerhöhung und Verbesserung in den Arbeitsverhältnissen. Anfangs stellte sich die Leitung der
Forderung ablehnend gegenüber. Nachdem aber die gesamte Mannschaft am 12. Mai die Arbeit niederlegte, fand
sich die Linie bereit, die geforderte Lohnerhöhung von 98 auf 110 Mark zu bewilligen, so daß schon auf der
Unterelbe jede Differenz zwischen der Linie und der Maschinen-Mannschaft behoben war.
Zu bemerken ist, daß sich die Leute an den Transportarbeiter-Verband um Unterstützung wandten, wie sie
gestern sagten, diese aber nicht erhielten, so daß es einem anderen Verbande möglich war, die Leitung in dieser
Bewegung zu nehmen. Immerhin herrscht auf dem Schiffe unter den Mitgliedern beider Verbände gegenwärtig
vollste Harmonie und wird auf eine baldige Wiedervereinigung gehofft.
Wogegen sich die Beschwerden der Heizer nun hauptsächlich richteten, war die außerordentlich brutale
Behandlung der direkten Vorgesetzten, die nicht einmal von den höheren Offizieren und noch weniger von der
Hamburg-Amerika-Linie gebilligt wird. Die Handlungsweise dieser Vorgesetzten war es, die einen Sturm der
Entrüstung unter den Mannschaften hervorrief. Nicht nur gefiel sich z.B. der 3. Ingenieur Lüdemann in Anwendung
der rigorosesten Antreibe-Methoden, sondern er schämte sich nicht, den Heizer Dobsky hinterrücks zu schlagen.
Daraufhin standen die übrigen Heizer ihrem mißhandelten Kollegen bald bei und wurden bei dem Ober-Ingenieur
Wolff mit der Frage vorstellig, ob dies die versprochene humane Behandlung sei. Lüdemann wurde denn auch um
die Leistung einer Abbitte von seinem Vorgesetzten ersucht, auf die Dobsky freilich verzichtete, mit der
Voraussetzung, daß dadurch nichts gebessert sei. Der Kapitän wandte sich an die Ingenieure mit dem dringenden
Ersuchen, Frieden mit ihren Untergebenen zu halten.
Bald darauf fand es der 3. Offizier Fuchs für gut, sich in Ausdrücken, wie ‚der Pöbel, der aus dem Sumpfe
hervorgeht’ und ähnlicher Liebenswürdigkeiten über die Arbeiter auszusprechen.
Alle diese Fälle führten zusammen zu einer äußerst erregten Stimmung. Drei Versammlungen wurden in
Hoboken abgehalten, von denen eine von 1000 Arbeitern der Maschinenräume besucht war. Ebenso hatten die
Stewards eine gute Versammlung. Die gegenwärtig schwebenden Beschwerden sind indes hauptsächlich gegen
die Mißhandlungen gerichtet. Außerdem verlangen sie, daß das ihnen versprochene Heizerdeck, wo sie der
Erholung in der freien Zeit pflegen sollen, in einem solchen Zustand gebracht wird, daß es auch dem vorgeblichen
Zwecke entspricht. Dies, so wurde gestern von den Leuten hervorgehoben, ist gegenwärtig nicht der Fall, da das
betreffende Deck schmutzig, mit Oelfässern beladen ist und alles zu wünschen übrig läßt. Ueber ihre Logis, die
nach ihren Angaben dem Kohlenstaub freien Zutritt gewähren, führten sie bittere Klage.
Ernster steht der Fall mit den Stewards. Diese haben allerdings Lohnforderungen erhoben, und zwar verlangen
sie einen Einheitslohn von 80 Mark pro Monat. Hier haben sich schon ernste Szenen abgespielt. Wie dem
Berichterstatter mitgeteilt wurde, ist man bereits dazu geschritten, zwei Stewards zu verhaften, die aber infolge
des einmütigen Eintretens der gesamten Mannschaft bald wieder freigelassen wurden. Angeblich wurden auch
gestern Abend besondere Wachen vor die Stewards-Quartiere gestellt. Die Stewards find nach den Berichten
entschlossen, auf jeden Fall in voller Solidarität zusammenzustehen, und auch der übrige Teil der Mannschaft soll
entschlossen sein, keinerlei Diskrimination gegen einen der ihren zu gestatten.«
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Creative Commons-Genehmigung lizenziert. Siehe hier: Foto-Lizenz: CC-BY-NC-ND
Sirius

Re: Fragen zu: Dampfmaschinen auf Schiffen

Beitrag von Sirius »

Hallo !

Etwas zu den 400 Trimmern und Heizern.

400 Personen verteilten sich über drei Wachen. Das heißt, 130 Mann pro Wache.

Mit diesen Leuten hatten die Wachingenieure kaum Organisationsprobleme. Die Heizer
waren die Vorgesetzten der Trimmer und sie sorgten dafür, dass der Kohlenachschub
funktionierte. Ingenieure ließen sich kaum mal vor den Feuerlöchern sehen.
Solange der Dampfdruck stimmte, war keine Veranlassung, durchzugreifen. Die Heizer
waren nicht die armen Kulis, sondern unumschränkte Herrscher in den Kesselräumen.

Zum Kieler Matrosenaufstand:

Der Kieler Aufstand der Matrosen der KRIEGSMARInE hatte mit den Arbeitsumständen
nichts zu tun. Die Marineführung wollte wenigstens einmal vernünftig zuschlagen
und sich deshalb noch einmal mit den Engländern prügeln. Dazu waren aber die
Mannschaften der Schiffe nicht bereit und sie übernahmen das Kommande über die
Kieler Flotte. Nicht die Arbeitsbedingungen waren der Streikanlass, sondern das Wissen,
nur verlieren zu können. Nur sterben zu können.

mfgSirius


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Zuletzt geändert von Sirius am Di 17. Feb 2009, 09:04, insgesamt 1-mal geändert.
Sirius

Re: Fragen zu: Dampfmaschinen auf Schiffen

Beitrag von Sirius »

Hallo Jürgen !

Bis 1968 brauchte man auf jeden Fall noch Dampffahrtzeit um C5 bzw C6 machen zu können.
Da es aber kaum noch Dampfschiffe in Deutschland gab, genügte ein Motorschiff mit Hilfsantrieb Dampf.
Das heißt, es mußte ein Kessel und eine Dampfpumpe an Bord sein. Oder ein anderes dampfangetriebenes Teil.

Das Studium aber war voll auf Dampfkessel, Dampfturbinen und Dampfmaschinen bezogen. Sechs Semester Dampftechnik waren immer drin. Um damit an Land in einem Kraftwerk arbeiten zu können.

mfgSirius


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Beim Ascheziehen.
Sirius

Re: Fragen zu: Dampfmaschinen auf Schiffen

Beitrag von Sirius »

1891 gab es im Deutschen Reich noch 1885 Segelschiffe und 902 Dampfer.
Und es kamen immer noch Matrosen beim Sturz aus der Takelage der Segler um.
Oder wurden vom Wind und Wasser von Deck gewaschen. 244 Zimmerleute,
Quartiermeister, Steuerleute und Matrosen kamen in diesem Jahr nicht zurück.

Das Dampfschiff bot nur scheinbar eine größere Sicherheit. Auf ihnen
verunglückten 183 Seeleute. Verunglückten oder verübten Selbstmord. Wobei
die Trimmer dabei den Rekord hielten.
Zweiunddreißigmal wurde 1893/1894 in Hamburg auf dem Seeamt über das
Verschwinden eines Seemannes verhandelt und 28 von ihnen waren Trimmer.

Ein Trimmer stand an letzter, unterster Stelle der Rangordnung auf einem
Dampfschiff. Lt. B. Traven im "Totenschiff" kam nach ihm nichts mehr.
Wer mehr über dieses Elend wissen will, sollte dieses Buch lesen.

Die Ozeane nannte man damals : Die Selbstmordstrassen der Trimmer.


mfgSirius
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