Estonia

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Volker Landwehr
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Re: Estonia

Beitrag von Volker Landwehr »

Alexander hat geschrieben: Sa 28. Sep 2019, 18:35 Allein schon diese Ungereimtheiten, insbsondere der klar aufgezeigte zeitliche Ablauf der Ereignisse, zeigen meiner Meinung nach deutlich, daß es eben nicht nur ein Kapitän war, der sein Schiff geknüppelt hat, um den Fahrplan einzuhalten
Alexander
Ich kenne das Buch von Frau Rabe nur vom Hörensagen. Also bewerte ich es nicht.

Tim hat es glaube ich richtig, wenn auch ein bisschen salopp beschrieben.

Ein schlecht gewartetes Schiff fährt mit zu hoher Geschwindigkeit im Sturm, mit einem für die Lasten in den damaligen Bureau Veritas Bauvorschriften ausgelegten Bugklappe, die viel zu klein waren. Außerdem entsprach die Bugkonstruktion nicht den SOLAS Regeln. In der Folge brechen die Verriegelungen und Scharniere der Bugklappe. Letztendlich fällt die Klappe ab, die Rampe/Kollisionsschott öffnet sich und Wasser strömt auf das offene Deck.
Hier ist ein Fernsehinterview mit Prof. Krüger: https://www.planet-wissen.de/video-der- ... a-100.html
Außerdem eine Animation des Sinkens von Ingenieuren der Technischen Universität Hamburg-Harburg und Experten der Hamburgischen Schiffsbauversuchsanstalt: https://www.ndr.de/geschichte/Animation ... ia154.html

Wen die Bugkonstruktion interessiert, findet sie auf Seite 27 der schon früher verlinkten Dissertation: https://d-nb.info/997688971/34
Dort ist auch in allen Einzelheiten beschrieben, warum die abreißende Bugklappe die Rampe/Kollisionsschott geöffnet hat.
Gruß, Volker
rolle k
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Re: Estonia

Beitrag von rolle k »

Tim S.
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Re: Estonia

Beitrag von Tim S. »

ROV entdeckte bisher unbekanntes Loch im Rumpf der ESTONIA
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaf ... 75604.html
rolle k
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Re: Estonia

Beitrag von rolle k »

Nabend Zusammen.
Die Gesamtumstände, die zum Untergang der Estonia führten, sind absolut ungeklärt.

Eines dürfte aber klar sein, es wird weiter vertuscht und die Öffentlichkeit, insbesondere die Hinterbliebenen der Opfer, werden hingehalten und für doof verkauft.

Insofern überrascht es mich nicht, dass nach all der Zeit jetzt erst ein ROV ein bisher unbekanntes Loch im Rumpf der ESTONIA entdeckte.

Wünsche Euch allen Gesundheit und einen schönen Abend. Rolf
Tim S.
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Re: Estonia

Beitrag von Tim S. »

Das sehe ich nicht ganz so. Für mich ist die Sache eigentlich hinreichend aufgeklärt und das Versagen des Bugvisiers eine absolut plausible These, da das Schiff für die Gewässer, durch die es gegen den Sturm geknüppelt wurde, strukturell nicht ausgelegt war. Alle anderen Theorien waren aus meiner Sicht immer sehr spekulativ und nicht belegt. Auch für die Herkunft des nun gefundenen Risses gibt es keine seriöse Theorie, die einzigen kompetenten Aussagen bisher ja auch, man kann nicht genau sagen, wo es herkommt, ob vom Aufschlag auf dem Meeresgrund oder etwas anderem. Wobei "das andere' ja nur eine Kollision mit einem U-Boot hätte sein können nach allem, was ich bisher las, und das wäre doch irgendwann aufgefallen. Ein schwer beschädigtes U-Boot ließe sich dauerhaft nicht vertuschen. Von daher gibt es aus meiner Sicht nichts irgendwie belastbares Neues, und ich sehe den Untergang als Kombination von menschlichem und technischem Versagen an.
Hier noch ein Bericht zum Thema:
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaf ... 25716.html
Volker Landwehr
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Re: Estonia

Beitrag von Volker Landwehr »

Ich stimme weitgehend mit Tim überein. Es gibt einen Abschlussbericht des JAIC mit einer Beschreibung des Ablaufs und der wahrscheinlichen Ursachen, es gibt eine Simulation von Prof. Stefan Krüger von 2007 und die Dissertation von 2009, die den Final Report bestätigen. Alle beschreiben den Untergang schlüssig.

Wo ich Tim nicht zustimme ist bei folgender Aussage: ..., da das Schiff für die Gewässer, durch die es gegen den Sturm geknüppelt wurde, strukturell nicht ausgelegt war.
Die Estonia fuhr zwar in einem anderen Seegebiet als das, für das sie gekauft wurde. Konstruiert und gebaut wurde sie für weltweite Fahrt mit Klassenzeichen BV I 3/3 + Deep Sea Ice Class IA Car/Passenger Ferry.

Nicht das andere Fahrtgebiet war das Problem, sondern dass die damaligen Bauverschriften die tatsächlich auftretenden Kräfte nicht richtig wiedergaben.
Hier ein Ausschnitt aus dem hier verlinkten Interview: https://www.ejz.de/blick-in-die-welt/po ... -122-.html
Frage: Trägt die Werft, die Meyer Werft in Papenburg, eine Mitschuld an dem Unglück?

Antwort: Grundsätzlich hat die Werft -soweit wir Einsicht in die technischen Unterlagen hatten -alle relevanten Sicherheitsvorschriften erfüllt, und somit kann ich keinen Konstruktionsfehler erkennen. Das heißt aber nicht, dass die damaligen Vorschriften die relevante Physik korrekt wiedergegeben haben. So wissen wir heute, dass die Druckbelastung auf das Visier um ein Vielfaches größer war als nach den damaligen Vorschriften.


Für mich bleibt der Ablauf mit dem abgerissenen Bugvisier, dem einströmenden Wasser und den wegen der freien Oberfläche zum Kentern führenden Wassermassen erhalten.
Frage ist doch, wäre die ESTONIA wegen eines 1,20 m breiten und 4 m hohen Loches unter der Wasseroberfläche gesunken? Das Loch hätte maximal zwei Abteilungen betroffen und zwei vollgelaufene Abteilung hätte das Schiff überleben sollen. Es sei denn, die Schotts waren nicht dicht.

Ich denke, erstmal ist zu klären, wann das Loch entstanden ist. Die damalige Untersuchung mit Tauchern und ROV hat lt. Veröffentlichungen keine Löcher ans Licht gebracht.

Es mag Dinge gegeben haben, die Regierungen vertuschen wollten, nur mit demUntergang selbst hatten sie aus meiner Sicht nichts zu tun, dazu ist die Simulation zu plausibel.
Gruß, Volker
Christof
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Re: Estonia

Beitrag von Christof »

Ich habe die Bücher von Jutta Rabe gelesen und finde sie sehrgut recherschiert. In diesen Büchern war auch immer die Rede von einem Loch im Rumpf. Das wurde aber von allen Seiten immer bestritten. Meine Meinung über die Simulation! Eine Simulation bleibt immer eine Simultion.
Gruss Christof
Tim S.
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Re: Estonia

Beitrag von Tim S. »

Zu dieser Person fand ich folgendes Zitat: "Deshalb wuchern rund um den Untergang der „Estonia“ wilde, teilweise wüste Verschwörungstheorien. Sie sind meist bis ins Detail widerlegt, leben aber trotzdem weiter. Vor allem im Internet, aber auch in Büchern beispielsweise der deutschen Aktivistin Jutta Rabe, deren Spekulationen auch Grundlage eines ziemlich einfältigen TV-Thrillers wurden. Verschwörungstheoretiker lieben diese Katastrophe.

Natürlich wurde sie von Experten genauestens untersucht. Die schwedisch-finnisch-estnische Untersuchungskommission sah eine komplexe Vermischung von menschlichem Versagen in Verbindung mit unzureichender Technik und widrigen Umständen als Ursache."
https://www.welt.de/geschichte/article1 ... tonia.html
Mehr zum Buch:
http://www.ultimo-muenster.de/kr-buch/b-eston.htm
Tim S.
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Re: Estonia

Beitrag von Tim S. »

Volker Landwehr
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Re: Estonia

Beitrag von Volker Landwehr »

Das Probleme vieler Unfalluntersuchungen besonders bei Untergängen wie der Estonia ist, dass sie sich überwiegend auf Zeugenaussagen stützen müssen. Dass bei Aussagen von Menschen, die sich in Todesangst befanden, Widersprüche und Ungereimtheiten auftreten, damit müssen die Ermittler umgehen.

Als Folge wird aus allen Aussagen zusammen die wahrscheinliche Timeline erstellt. Abweichende Daten bedeuten keinen Fehler, sie wurden z.B. im Gesamtbild als unwahrscheinlich und damit irrelevant aussortiert. Sie bilden aber leicht den Anfang von Verschwörungsmythen.

Die Fakten (abgerissenes Bugvisier mit Wassereinbruch) und der aus Zeugenaussagen rekonstruierte zeitliche Ablauf führen in der Simulation zum Sinken der ESTONIA. Zur Erklärung des Sinkens sind keine weiteren Lecks/Löcher nötig.

Wie das angeblich jetzt gefundene Loch in das Bild passt, muss sich zeigen. Frage ist aber, ob es allein zum Untergang geführt haben könnte? Mit Sicherheit ist bei 1,2 m Länge und 4 m Höhe eine wasserdichte Abteilung der ESTONIA betroffen, bei Pech auch zwei Abteilungen. Das Volllaufen zweier Abteilung hätte die ESTONIA überstehen sollen, vorausgesetzt alle Öffnungen in Schottwänden waren geschlossen.

Es hat ohne Frage Ungereimtheiten und Vertuschungsversuche gegeben, die Fragen aufwerfen. Aber alle Zusammenhänge mit den Untergangsursachen wurden meines Wissens widerlegt.

Die Schnelligkeit des Sinkens, 7 min vom Abreißen des Tores zum Mayday und weiter 8 min später verschand die Estonia von den Radarschirmen, erinnert doch sehr stark an den Untergang der HERALD OF FREE ENTERPRISE. Sie lief mit offenem Bugvisier aus und kenterte 23 min nach dem Ablegen, weil über den Bug Wassermassen eingeströmt waren.

Im Gegensatz dazu hielt sich die COSTA CONCORDIA mit einem 70 m langen Riss 75 min bis zum Auflaufen.

Ich halte mich liebe an Untersuchungen von Profis wie Prof. Krüger, der für die Simulation verantwortlich zeichnete, als an Schlüsse, die Laien ziehen.
Gruß, Volker
Zuletzt geändert von Volker Landwehr am Do 1. Okt 2020, 15:24, insgesamt 2-mal geändert.
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