Vollschiff "Drushba" in Odessa - Die vergessene Schwester

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sutherland
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Vollschiff "Drushba" in Odessa - Die vergessene Schwester

Beitrag von sutherland »

Wohl jeder westliche Windjammerfreund kennt die polnische "Dar Mlodieczy" und die russische "Mir", die ständige Gäste auf allen Tall-Ship-Treffen der Welt sind. Doch darüber hinaus gibt es vier weitere Schwestern aus der Ende der 1980er Jahre in Polen gebauten Serie von Vollschiffen. Die russischen "Nadeshda" und "Pallada" sind kaum im Blickfeld, da sie im Pazifik zuhause sind, die seit der Auflösung der Sowjetunion unter ukrainischer Flagge laufenden "Khersones" und "Drushba" sind von der Bildfläche verschwunden. Doch was ist mit den beiden auch bei westlichen Mitseglern beliebten Schulschiffen geschehen? Die "Khersones" lag seit Jahren in Sewastopol auf der Krim auf, nach der Annexion des Gebietes fiel sie in russische Hände. Nun ist sie wieder aufgetaucht, unter russischer Flagge nahm das nun blau-weiße Schulschiff offensichtlich generalüberholt an einer Veranstaltung in Sotschi teil.

http://en.portnews.ru/news/238145/

Doch die vergessene Schwester "Drushba" ist nach wie vor aufgelegt. Nachdem das Schiff einige Jahre wegen unklarer Besitzverhältnisse und unbezahlter Rechnungen auf Zypern an der Kette gelegen hatte, verlor sich die Spur Anfang der 2000er Jahre im ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa. Dort habe ich mich nun auf die Suche nach der "Drushba" gemacht.
Ein Luftbild von Google Maps zeigt einen Vollrigger im Stützpunkt der ukrainischen Marine, nicht weit vom "Meeresbahnhof" an der Potemkinschen Treppe. Zunächst war nichts von rahgetakelten Masten zu sehen, doch von weit draußen auf der Mole blitzten die Spieren zwischen einigen Gebäuden hervor. Ob es möglich sein würde, dorthin zu gelangen? Zunächst hieß es, an einer vielbefahrenen LKW-Route und entlang verfallener Häuser den Eingang ins Marinearsenal zu finden. Durch ein Gittertor war nun schon mehr von der "Drushba" zu sehen, die dort zwischen Kriegs- und Arbeitsschiffen der Marine liegt.

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Der Posten am Tor sprach natürlich kein Englisch, daher malte ich mit den Händen Rahen in die Luft und wiederholte immer wieder "Drushba". An meiner Freundschaft (dafür steht das russische "Drushba") war der Posten weniger interessiert, eher an seinem Handy, daher winkte er mich knurrend durch. Zwei weitere Posten an Türen ohne Griffe ließen mich ebenfalls nach diesem Theater durch... und ich stand im Marinehafen von Odessa.
Zwischen schwimmendem Schrott der mittleren Sowjetzeit fand ich die "Drushba" vom ersten Anschein her in brauchbarem Zustand mit nur wenig Rost am Rumpf und einigermaßen komplettem stehendem und laufendem Gut vor. Eine wackelige Gangway führte an Bord und der diesmal englischsprechende Wachposten (erneut mit seinem Mobiltelefon beschäftigt) ließ mich wissen, dass ich auf mich achten möge.

So konnte ich den scheinbar völlig menschenleeren Segler betreten und hatte das Schiff tatsächlich für mich allein.
Das Deck machte einen erschreckenden Eindruck, überall gesprungenes Holz, inzwischen verrottete Planken mit Beton ausgegossen. Auch die Winden waren erkennbar jahrelang nicht mehr bewegt worden. Unter Deck waren die Kammern abgeschlossen, ein Blick in den "Club" im Achterschiff zeigte verstaubte und mürbe Pracht. Hier war lange nicht mehr gefeiert worden.
Ich konnte mich auf dem Geisterschiff vollkommen frei bewegen, ein unbehagliches Gefühl beschleicht den eher geduldeten Gast in einer Marinebasis, in der auch gerade US-Truppen zur gemeinsamen Übung zu Gast sind, dennoch beim Fotografieren.

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Daher war ich froh, meine Bilder im Kasten, schnell denselben Weg zurück zu gehen, den ich gekommen war...wieder vorbei an desinteressierten Wachen. Dennoch, ein eindrucksvoller Kurzbesuch bei der "vergessenen Schwester" war sicherlich einer der Höhepunkte meiner Odessa-Reise.
Möge die "Drushba" eines fernen Tages wieder segeln..

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Tim S.
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Re: Vollschiff "Drushba" in Odessa - Die vergessene Schwester

Beitrag von Tim S. »

Tolles Erlebnis! Das wäre für mich auch ein Highlight gewesen - nach dem Motto, es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Danke für das Teilen!
Roland H
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Re: Vollschiff "Drushba" in Odessa - Die vergessene Schwester

Beitrag von Roland H »

Wahnsinn! Einfach "kackfrech" (ist nicht böse sondern anerkennend gemeint) in eine russische Militärbasis zu marschieren (als Wessi) und es scheint offensichtlich niemand wirklich zu interessieren.. das würde Dir bei den Amis vermutlich nicht passieren. Und dann diese schaurig-schönen Bilder..ein Jammer dieses schöne Schiff so vor sich hingammeln zu lassen..

Danke für Deinen Bericht! Prädikat 1a
Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige.

Lucius Annaeus Seneca
Sven J
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Re: Vollschiff "Drushba" in Odessa - Die vergessene Schwester

Beitrag von Sven J »

Roland H hat geschrieben: Do 20. Jul 2017, 11:00Wahnsinn! Einfach "kackfrech" (ist nicht böse sondern anerkennend gemeint) in eine russische Militärbasis zu marschieren (als Wessi)
Ja, das war eine gute Aktion. Ein Versuch, der ganz unbürokratisch geklappt hat. Danke für die Eindrücke.

Aber: Es ist eine ukrainische Basis. Ein möglicherweise nicht ganz unbedeutender Unterschied zu einer russischen.

Grüße
Sven
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